· Kreisverband Hagen

Sommerempfang der Hagener Wohlfahrtsverbände

AWO UB Hagen-Märkischer Kreis
Gruppenbild der Vorstände der Hagener AG Wohlfahrt mit Vertreter*innen der Stadt (von li. nach re.): Rolf Niewöhner (Caritasverband), Matthias Börner (Diakonie Mark-Ruhr), Torsten Gunnemann (Caritas), Oberbürgermeister Erik O. Schulz, Sozialdezernentin Martina Soddemann, Jan-Philipp Krawinkel (Der Paritätische), Heidrun Schulz-Rabenschlag (Diakonie), Philipp Kohn (Deutsches Rotes Kreuz Kreisverband Hagen e. V.), Birgit Buchholz (AWO Unterbezirk Hagen-Märkischer Kreis), Christine Scholl (Deutsches Rotes Kreuz Kreisverband Hagen e. V.)

Sozialpolitischer Austausch mit Rat und Verwaltung – Fachvortrag und Podiumsdiskussion

Zu einem sozialpolitischen Sommerabend lud die Hagener Arbeitsgemeinschaft der Sozialverbände, bestehend aus AWO, Caritasverband, Diakonie, DRK und Paritätischem, am 7. Juni ein: Über 50 Teilnehmer*innen aus Verbänden, Verwaltung und Politik – darunter OB Erik O. Schulz und die Bezirksbürgermeister Michael Dahme und Ralf Quardt – folgten der Einladung ins Wichernhaus in der Martin-Luther-Straße.

Birgit Buchholz, AWO-Geschäftsführerin und turnusgemäße Sprecherin der AG Wohlfahrt, ordnete die Veranstaltung  ein in eine Reihe von Aktionen, mit der die Sozialverbände seit dem letzten Herbst auf Personalnot, Überlastung, Unterbesetzung und Unterbezahlung hinweisen. Bereits im Oktober letzten Jahres demonstrierten viele Mitarbeitende der Wohlfahrts- und Sozialarbeit zusammen mit weiteren Betroffenen vor dem Landtag von NRW. Es folgten im Zuge dieser Kampagne die größten Sozialproteste in Nordrhein-Westfalen seit Jahrzehnten. Doch eine Reaktion der Landesregierung blieb aus. Die jetzt von den freien Wohlfahrtsverbänden ausgerufene Aktionswoche unter dem Slogan „Black Week – Gehen hier bald die Lichter aus?“, schließe daran an, denn die  Unsicherheit über die Zukunft sozialer Dienstleistungen in NRW sei so groß wie nie. „Wir können mit unseren Eigenmitteln eine bedarfsdeckende soziale Infrastruktur nicht mehr garantieren“ betonte Birgit Buchholz.

Matthias Börne, Mit-Organisator und als Diakonie-Geschäftsführer Hausherr und Gastgeber des Empfangs,  erinnerte in seiner Begrüßungsansprache an eine legendäre Stehgreifrede, mit der Johann Hinrich Wichern beim Kirchentag 1948 in Wittenberg sein Publikum für die Themen soziale Arbeit, Dienst am Menschen und innere Mission begeisterte – diesem Anliegen Wicherns widmete er auch die Gespräche und Begegnungen des Abends.


Vor dem geselligen Austausch reflektierte Prof. Dr. Michael Boecker, Prodekan der FH Dortmund und Mitglied des Caritasrates, den Wirkungs- und Wirksamkeitsbegriff in der Sozialen Arbeit und das Subsidiaritätsprinzip. Ihm gelang der große Bogen von der wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen der Messbarkeit sozialer Dienstleistungen hin zu konkreten Fragen der Eingliederungshilfe und des Bundesteilhabegesetzes.  Der Bundesgesetzgeber verpflichte die Wohlfahrtsverbände zu einer Auseinandersetzung mit den Begriffen Wirkung und Wirksamkeit, ohne diese Grundbegriffe genau zu definieren. Ist die Messbarkeit von personenbezogenen Dienstleistungen im engeren sozialwissenschaftlichen Sinne möglich? Wie verhält sich innerhalb des „sozialrechtlichen Dreiecks“ die Wirkung der Dienstleistung eines „Leistungserbringers“ auf den einzelnen Klienten? Und wie legitimieren sich die Leistungserbringer gegenüber den „Leistungsträgern“, die die soziale Arbeit fördern und finanzieren und einen Anspruch darauf haben, ob das in Programmen angelegte Geld gut angelegt ist.   Ist die soziale Dienstleistung besser geworden – oder sind die bürokratischen Instrumente zur Rechtfertigung verfeinert worden? Kann man die Wirkung sozialer Arbeit in Zahlen darstellen, und kann man solche Zahlen in Euro und Cent umrechnen? Welche Rolle spielt „der Kunde“ in diesem Dreieck – Produktion und Konsum sozialer Leistungen fallen zusammen, Kund*innen sind Mit-Produzent*innen der Dienstleistung:  lässt das Ausbleiben oder Auftreten einer spezifischen Wirkung als Folge einer Leistungserbringung bei einer individuellen Person mit Unterstützungsbedarf, keine Rückschlüsse auf die vertragsrechtlich vereinbarte Wirksamkeit der Leistung zu? Michael Boecker warnte vor den Fallstricken unklarer Begriffsverwendung: Wenn etwa der Begriff der Wirksamkeit in Bezug auf die Leistungserbringung verwendet werde, durch die eine Wirkung im Einzelfall eintreten soll. Umgekehrt sei die Überprüfung der Wirkung auf die Teilhabe einzelner Leistungsberechtigen ungeeignet, um die Wirksamkeit der Leistungserbringung eines Trägers zu beurteilen.

Böckers Vortrag endete nach dem wissenschaftstheoretischen Exkurs mit einem Appell an die Reaktivierung des Sozialstaats, der dafür sorgt, dass der Mensch reale, nicht nur formale Chancen hat. Er schloss mit Heribert Prantls bekannten Diktum: „Das Leben beginnt ungerecht, und es endet ungerecht, und dazwischen ist es nicht viel besser. Der eine wird mit dem silbernen Löffel im Mund geboren, der andere in der Gosse. Der eine zieht bei der Lotterie der Natur das große Los, der andere die Niete.“ Eine klientenzentrierte Sozialpolitik von öffentlichen und freien Trägern habe die Aufgabe, diese Ungleichheiten abzumildern und einen Beitrag zur Chancengerechtigkeit leisten.